Rede unseres Genossen Lutz Getzschmann zu Kungebung gegen den Krieg in der Ukraine

26. Februar 2022  Allgemein

Sehr geehrte Damen und Herren,liebe Mitbürger*innen,Die Bombenangriffe und der Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine sind ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg und durch nichts zu rechtfertigen. Russland muss die Kampfhandlungen sofort einstellen, einem Waffenstillstand zustimmen und an den Verhandlungstisch zurückkehren. Diese russische Invasion stürzt uns alle in die gefährlichste Situation für den Frieden in Europa seit Jahrzehnten.

Unsere Solidarität gilt den Menschen vor Ort, die schon lange unter dem Kampf um geostrategische Einflusssphären leiden – und nun brutal von den Kampfhandlungen betroffen sind. In den letzten zwanzig Jahren hat die NATO unter Führung der USA mit ihrer Aufrüstung und den Osterweiterungen des Militärbündnisses bis an die Grenzen Russlands seit 1997 einiges zur Eskalation beigetragen. Aber: Der flächendeckende Angriff russischer Truppen auf die Ukraine, Bombenangriffe auf zivile Ziele und die Zerstörung lebensnotwendiger Infrastruktur der Bevölkerung ist keine »Friedensmission«, sondern ein unverantwortlicher Akt des Militarismus. Und es muss an dieser Stelle deutlich gemacht werden, dass es keine fortschrittliche Seite in diesem Krieg gibt. Staaten haben Interessen: ja! Russland hat berechtigte Sicherheitsinteressen: ja! Der Westen war zu keinem Zeitpunkt bereit, diese in Verhandlungen zu berücksichtigen: ja! Aber das was in der Nacht zu Donnerstag ins Werk gesetzt wurde, ist keine legitime Wahrung russischer staatlicher Interessen und keine Verteidigung der russischsprachigen Minderheit in der Ostukraine gegen die Drangsalierung durch ukrainische Nationalisten und Faschisten – die es durchaus gibt. In diesem Krieg kann es keinen Sieger geben und verlieren wird die gesamte Bevölkerung in der Ukraine, ganz gleich ob die Menschen sich nun ethnisch und sprachlich als ukrainisch, russisch oder als eine der 15 anderen ethnischen Gruppen des Landes definieren.

Putin hat in seiner Rede am Dienstagabend deutlich gemacht, dass er einen aggressiven großrussischen Nationalismus vertritt, die Eigenständigkeit des ukrainischen Volkes bestreitet und gerade auch das Erbe der sowjetischen Nationalitätenpolitik unter Lenin auszulöschen versucht, nämlich den Versuch der Bolschewiki in den ersten Jahren nach der Oktoberrevolution, den großrussischen Chauvinismus des Zarenreiches zu überwinden.und zu ersetzen durch das Selbstbestimmungsrecht der Völker Russlands »bis hin zur Lostrennung und Bildung eines selbstständigen Staates«. Putin will zurück zum zaristischen Völkergefängnis des vorrevolutionären Russland und nimmt dafür nicht nur den Bruch mit dem Westen in Kauf, sondern mittelfristig auch die Zerstörung des inneren Friedens in der Russischen Föderation selbst, deren 192 ethnische Minderheiten zu den innenpolitischen Opfern einer solchen nationalistischen Politik gehören werden.

Einer solchen imperialen Machtpolitik auf Kosten des Lebens und der elementaren Interessen der Bevölkerungen der Ukraine, Russlands und ganz Europas stellen wir uns entgegen. Sicherheit und Unabhängigkeit der Ukraine müssen wiederhergestellt werden. Die Menschen dürfen nicht mehr zum Spielball geopolitischer Interessen gemacht werden. Wir lehnen jegliche Waffenlieferungen an die Kriegsparteien und jegliche militärische Unterstützung ab. Vielmehr braucht es direkte humanitäre und finanzielle Unterstützung der Zivilgesellschaft(en) vor Ort und Unterstützung für alle, die sich dem Krieg widersetzen. Und das ist, auch in dieser deprimierenden Situation, immerhin ein kleiner Hoffnungsschimmer, denn auch in Russland werden die Stimmen gegen diesen Krieg zusehends lauter: So haben mehr als 300.000 Menschen dort eine Petition gegen den Krieg unterzeichnet und 175 russische Kommunalpolitiker*innen haben in einem Aufruf sein sofortiges Ende gefordert.

Und auch in Moskau, St. Petersburg und zahlreichen anderen russischen Städten demonstrieren tausende Menschen für Frieden mit der Ukraine, ungeachtet der staatlichen Repression mit mehr als 1700 Festnahmen von Demonstrant*innen in 53 Städten allein am gestrigen Abend. Auch diesen Menschen muss heute unsere Solidarität gehören. Umso verstörender sind die Nachrichten, denen zufolge die ukrainische Regierung in Kiew in großer Zahl Waffen an die Zivilbevölkerung ausgegeben hat und die Menschen dazu aufgefordert hat, sich mit Molotowcocktails den russischen Panzern entgegenzustellen. Bei aller Verzweiflung – aber das ist blanker Wahnsinn. Es wird dazu führen, dass die russische Seite, selbst wenn sie das will, nicht mehr unterscheiden kann zwischen Zivilist*innen und Kombattanten und es wird in einem Blutbad enden.Es gibt keine militärische, sondern nur eine politische Lösung auf der Basis der Prinzipien der gemeinsamen Sicherheit. Eine der langfristig verheerenden drohenden Folgen dieses Angriffskrieges ist, dass Europa in einen neuen Kalten Krieg und eine verhängnisvolle Spirale gegenseitiger konventioneller und atomarer Abschreckung eintritt und dabei ausgerechnet das Kriegsbündnis NATO plötzlich als Garant des Friedens posiert. Dabei war es doch die NATO, die 1999 gegen Jugoslawien einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg geführt hat.

Und es war das NATO-Mitgliedsland Türkei, dessen Armee, gemeinsam mit djihadfistischen Milizen im Januar 2018 ebenfalls völkerrechtswidrig im nordsyrischen Kurdenkanton Afrin einmarschierte und unter Kurd*innen und Jesid*innen ein Blutbad anrichtete. Und schließlich war es im Oktober 2019 erneut das NATO-Mitgliedsland Türkei, das, wiederum unter Missachtung des Völkerrechts, diesmal aber mit mehr oder weniger freundlicher Duldung der USA und Russlands eine blutige Invasion in die verbliebenen kurdischen Kantone Nordsyriens startete. Und es ist doch gerade die Logik militärischer Abschreckung, die im Konflikt um die Ukraine katastrophal gescheitert ist. Und gerade eine Politik, die militärische Gewalt als mögliche Konfliktlösung sieht, die zu diesem Desaster geführt hat. Was wir stattdessen brauchen, ist eine europäische Friedens- und Sicherheitsordnung, die den grundlegenden Schutzbedürfnissen aller Menschen in Ost und West dient und militärische Abenteuer in jeglicher Form ausschließt. Und das heißt auch, wenngleich das in dieser Situation für Viele nur schwer vorstellbar sein mag: Es gibt keine Lösung dieses Konflikts ohne oder gegen Russland.

Wir fordern:
– Die russischen Truppen müssen sofort zurückgezogen werden!- Alle diplomatischen Möglichkeiten müssen zur Deeskalation genutzt werden!
– Die Umsetzung des Minsker Abkommens muss das Ziel bleiben.
– Vereinbarung eines entmilitarisierten Sicherheitskorridors an der ukrainisch-russischen Grenze sowie an der Grenze zwischen Russland und den NATO-Mitgliedsstaaten.
– Geflüchtete schützen
– Grenzen auf! Abschiebungen und Pushbacks aus der EU in die Krisenregion müssen sofort gestoppt werden.
– Solidarische Aufnahme von Kriegsdienstverweigerern.
– Eine neue europäische Sicherheitsarchitektur und ein Ende jeder Großmachtpolitik!