Sparen auf dem Rücken von Kindern, Eltern und ErzieherInnen

11. Dezember 2016  Kommunales

Dokumentiert: Aus der 24. Ausgabe der Linkszeitung

Eine böse Überraschung erwartet nächstes Jahr die Eltern der rund 9.500 Kinder in Kasseler Tageseinrichtungen. Nach dem Willen des Magistrats sollen die Kitas künftig eine Woche länger geschlossen bleiben, d. h. die reguläre Schließzeit von vier Wochen verlängert sich um eine weitere zu Fortbildungszwecken der ErzieherInnen. Damit kehrt die Stadt zu einer Regelung zurück, die aufgrund der höheren Belastung vieler Eltern erst vor drei Jahren zugunsten kürzerer Schließzeiten aufgegeben wurde.
Bereits die bisherige 3plus1-Wochen-Regelung ist für viele berufstätige Eltern, vor allem alleinerziehende, eine organisatorische Herausforderung. Die geplante Änderung mit bis zu 25 regulären Schließtagen im Jahr wird das Jonglieren zwischen Arbeits- und Kinderbetreuungszeiten weiter erschweren: Bei einem gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch von 20 Tagen und einem Recht auf Inanspruchnahme – auch für städtische Bedienstete – von maximal zwei Wochen am Stück werden viele Familien nicht nur darauf festgelegt, ihren Urlaub während der Kitaschließzeiten zu nehmen – ein gemeinsamer Familienurlaub ist teilweise sogar nicht mehr möglich, wenn Eltern ihren Urlaubsanspruch zeitlich versetzt wahrnehmen müssen, um die Kinderbetreuung während der Schließzeiten zu gewährleisten. Als Alternative verweist der Magistrat auf das mit der nun beschlossenen Satzungsänderung obligatorisch vorgesehene Notkita-Angebot – die Erfahrung zeigt jedoch, dass Notkitas sehr unterschiedlich von den Kindern angenommen werden, da die Einrichtungen ihnen fremd sind und zudem häufig in einem anderen Stadtteil liegen, so dass für viele Eltern dieses Angebot nur eingeschränkt eine Hilfe darstellt.
Begründet wird die Satzungsänderung ausgerechnet mit dem Elternwillen: Der HNA gegenüber erklärte die Gesamtelternbeiratsvorsitzende Dr. Cornelia Janusch, mit der verkürzten Schließzeit gehe ein geringerer Personalschlüssel einher, daher seien in einigen Kitas keine besonderen Betreuungsangebote mehr möglich. Keine Aussage machte sie hingegen zur Betreuungsqualität für jene Kinder, die künftig im Bedarfsfall in einer Notkita untergebracht werden müssen. Erst auf Nachfrage räumte die Bildungsdezernentin Anne Janz (in der mit der Magistratsvorlage befassten Sitzung des Ausschusses für Finanzen, Wirtschaft und Grundsatzfragen) ein, dass der Kern des Problems die Personalnot bei der Stadt Kassel ist.
Für die ErzieherInnen, die angesichts großer Betreuungsgruppen und dünner Personaldecke zum Teil bereits an der Belastungsgrenze arbeiten, bedeuten die verlängerten Schließzeiten jedoch nicht automatisch eine Verbesserung, wie vom Magistrat behauptet wird. Vielmehr werden ihnen damit vier Wochen Zwangsurlaub auferlegt, der während der regulären Schließzeiten in den Sommer- und Weihnachtsferien zu nehmen sein wird. Erleichterung durch die erweiterte Schließzeit erfährt ausschließlich das Jugendamt in seiner Personalplanung, außerdem wird eine Einsparung von Personalstunden erzielt.
Besonders die Kasseler Grünen und ihre Bildungsdezernentin müssen sich in diesem Zusammenhang den Vorwurf gefallen lassen, die angespannte Personalsituation in den Kasseler Kitas auszusitzen. Ihre Aufgabe wäre es, sich in der schwarz-grünen Regierungskoalition auf Landesebene dafür einzusetzen, das Kinderförderungsgesetz (KiFöG) zu modifizieren (gegen dessen Einführung 2013 noch 140.000 Unterschriften gesammelt wurden!), den Betreuungsschlüssel deutlich anzuheben und die Träger und Kommunen mithilfe finanzieller Anreize in die Lage zu versetzen, ihre Ganztagsangebote in der Kinderbetreuung auszuweiten – stattdessen wird die Last den Eltern und ErzieherInnen aufgebürdet. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach der schon seit Langem geforderten Aufwertung der Sozial- und Erziehungsdienste, die auch die Stadt Kassel (als Teil der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände VKA) nach wie vor verweigert. Diese sind neben der Reform des KiFöG  jedoch ein Schlüssel, um den ErzieherInnenberuf wieder attraktiver zu gestalten und das Personal zu qualifizieren.
Offenbar um die bittere Pille ein wenig zu versüßen, beinhaltet die Satzungsänderung auch eine Regelung, die die Rückzahlung von Kita-Beiträgen im Streikfall auf Antrag ermöglicht. Mit der Verknüpfung dieser überfälligen Einfügung mit dem skandalösen Hauptanliegen der Magistratsvorlage, der Ausweitung der Schließzeiten, begründete denn auch die SPD ihre Zustimmung, ohne auf die zu erwartenden Belastungen für die Eltern weiter einzugehen.
Bezeichnend ist, mit welcher Geschwindigkeit die entsprechende Satzungsänderung durch die Gremien gepeitscht wurde: Am 31.10. erhielten die Fraktionen die entsprechende Magistratsvorlage, zwei Tage später stimmte der Ausschuss für Finanzen, Wirtschaft und Grundsatzfragen mit den Stimmen von SPD und Grünen gegen die Kasseler Linke bei Enthaltung der anderen Fraktionen zu (die FDP fehlte), bei der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am 14.11. wurde die Vorlage dann nach kurzem Schlagabtausch mehrheitlich beschlossen. Ursprünglich sollte das Stadtparlament das Dokument sogar ohne weitere Aussprache beschließen.
Nun sind Sie als Betroffene gefragt: Wie stehen Sie zu den erweiterten Schließzeiten? Welche Auswirkungen hat die Neuregelung für Sie konkret? Welche Ideen haben Sie, um sich dagegen im Rahmen außerparlamentarischer Aktionen zu wehren? Vorschläge und Anregungen nehmen wir dankbar entgegen. Wir freuen uns über Ihre Rückmeldungen!                   

Lutz Getzschmann