Dokumentiert: Aus der 24. Ausgabe der Linkszeitung
Die Lage auf dem Kasseler Wohnungsmarkt ist angespannt, was inzwischen vor allem Menschen mit niedrigen Einkommen zu spüren bekommen.
Zwar wird in der Stadt viel gebaut, in erster Linie jedoch frei finanzierte Mietwohnungen im oberen Preissegment, Stadtvillen und Einfamilienhäuser. Dramatisch verknappt haben sich hingegen kleine und günstige Wohnungen: Mehr als 50 Prozent aller Haushalte in der Stadt sind inzwischen Ein-Personen-Haushalte.
Die Zahl der öffentlich geförderten Wohnungen ist in den letzten vier Jahren von 9.100 auf 8.500 zurückgegangen. Die Zahl der direkt miet- und belegungsgebundenen Wohnungen dürfte inzwischen bei unter 6.000 stadtweit liegen. Im Zeitraum von 2010 bis einschließlich 2015 sind insgesamt 1.495 Wohnungen aus der Bindung herausgefallen, gleichzeitig ist die Zahl der in den letzten zwei Jahren beantragten Bauvorhaben in diesem Bereich viel zu gering, um den Bedarf zu decken. So wurden in vier Jahren gerade einmal 41 Sozialwohnungen gebaut. Dass das Herausfallen aus der Sozialbindung sich innerhalb kurzer Zeit drastisch auf den Mietpreis auswirken kann, belegt schon eine einzige Zahl: Etwa 23 % aller ehemaligen Sozialwohnungen liegen heute über der durchschnittlichen Angebotsmiete der Stadt.
Auf gesamtstädtischer Ebene ist die Angebotsmiete im Zeitraum von 2011 bis 2014 um 21,7 % gestiegen. Lag der durchschnittliche Mietpreis 2011 noch bei 5,51 €/m², so ist er bis 2014 auf 6,71 €/m² gestiegen. Die stärkste Entwicklung mit einem Anstieg von 39,6 % ist in der Nordstadt zu verzeichnen. Dort sind die Mieten von 4,56 €/m² auf 6,37 €/m² gestiegen. Harleshausen folgt mit einer Steigerung von 34,5 %. Erwähnenswert ist außerdem, dass sich die höchste ermittelte durchschnittliche Angebotsmiete mit 7,75 €/m² ausgerechnet im Stadtteil Wesertor findet. Dies erklärt sich durch die hohe Anzahl kleinerer Wohnungen, die im Verhältnis deutlich teurer sind.
Wir brauchen dringend eine Offensive im sozialen Wohnungsbau, was voraussetzt, dass bei den politisch Verantwortlichen ein Bewusstsein dafür entsteht, dass auch in Kassel, wo lange Zeit mit niedrigen Mieten, hohen Leerständen und einer sinkenden Bevölkerungszahl gelebt und geplant wurde, inzwischen Wohnungsnot existiert und sich verschärft.
Mithilfe einer Sozialwohnungsquote lässt sich beim Bau von Wohnungen durch private Investoren sicherstellen, dass auch im bezahlbaren Segment Wohnungen entstehen. In Bremen wurde eine solche Quote 2013 eingeführt, die beim Verkauf von städtischen Grundstücken sowie bei der Schaffung von neuem Baurecht dazu verpflichtet, 25 % der neu zu schaffenden Wohnungen im bezahlbaren Segment anzusiedeln. Durch die Einführung von Sozialquoten können InvestorInnen an ihre soziale Verpflichtung durch Eigentum und Kapital gebunden werden. Auch Städte wie Frankfurt, Ulm, München, Hamburg, Stuttgart, Regensburg, Freiburg, Münster, Düsseldorf, Berlin und viele andere haben diese Möglichkeit bereits ergriffen.
Was in Kassel bisher fehlt, ist der politische Wille vonseiten des Magistrats, durch diese und andere Maßnahmen in den Wohnungsmarkt einzugreifen. Wenn der Kämmerer und OB-Kandidat Christian Geselle (SPD) in seiner Haushaltsrede den wohnungspolitischen Schwerpunkt auf die Schaffung von Bauland für „einkommensstarke Familien“ legt und zugleich keine einzige Maßnahme zur Schaffung von Wohnraum im niedrigeren Preissegment vorschlägt, dann belegt dies eindrucksvoll die Ignoranz, mit der die derzeitige Stadtregierung den Problemen eines erheblichen Teils der Bevölkerung gegenübersteht. Hier hilft nur politischer Druck: von der Straße, aus den Stadtteilen und im Parlament.
Lutz Getzschmann