Es heißt, die Folgen von Corona würden alle gleich stark treffen. Doch Kurzarbeit, Arbeitsplatzverlust, geschlossene Schulen und eine auf Monate hinweg unsichere Aussicht auf Besserung treffen die Menschen unterschiedlich hart.
Jene in den vielgepriesenen systemrelevanten Jobs erhalten warmen Applaus ohne bessere Bezahlung und sind der Gefahr ausgesetzt, sich selbst und Angehörige anzustecken. Finanzielle Hilfe erhalten Großkonzerne anscheinend mühelos, bei der Erhöhung des ALG II-Satzes hingegen findet die Diskussion darüber nicht einmal statt. Was von COVID-19 bleiben wird, ist die Erkenntnis, dass Krisen auf den Schultern der wirtschaftlich Schwachen ausgetragen werden und das kapitalistische System in Krisen versagt.
Eine Krise, die unsere Gesellschaft jedoch weitreichender verändern wird, ist die Klimakrise. Die Frage ist, ob wir als Gesellschaft diesen Wandel passiv oder aktiv gestalten. Wollen wir auf den Handlungsdruck warten, die Spätfolgen tragen oder uns jetzt schon auf die Veränderungen einstellen? Die Antworten in der Gesellschaft auf diese Frage reichen von Leugnung und Skepsis über Ignoranz bis hin zum Greenwashing.
Es braucht also eine progressive Antwort und diese muss vor allem auf lokaler Ebene gefunden werden. Also in unserem Lebensraum, wo wir wohnen, leben, arbeiten und unsere Freizeit verbringen. Kassel liegt in einem natürlichen Kessel, was bei Inversionswetterlagen schon jetzt zu schlechter Luftzirkulation führt. Doch selbst wenn das Pariser Klimaabkommen eingehalten wird, findet sich Kassel im Jahr 2050 in der Klimazone von Rom und Madrid wieder, was unabsehbare Folgen haben wird. Die mit dem Klimawandel einhergehenden Herausforderungen und notwendigen Umbaumaßnahmen sind eine Chance, sozial gerechte Verhältnisse in allen Bereichen der Stadtentwicklung zu schaffen.
Dafür braucht es nicht nur durchdachte Lösungen und Angebote, sondern auch die Debatte über Verkehrswende, Begrünung, Verteilung städtischen Raumes und Schutz vor Wetterextremen.
Klimapolitik heißt, die verfehlte Verkehrspolitik des motorisierten Individualverkehrs zu überwinden. Kassel zeichnet sich bisher durch das Prädikat „Autostadt“ aus. Die damit verbundenen Widerstände gegen eine Verkehrswende sind nur dann aufzulösen, wenn sowohl Fußgänger- und Fahrradinfrastruktur als auch ÖPNV umfangreich ausgebaut werden. Dies muss und für alle attraktiv, komfortabel und sicher geschehen. Es gilt darüber hinaus eine generelle Debatte über die Gleichberechtigung aller Verkehrsteilnehmer*innen zu führen.
Raum muss neu verteilt werden. Kern einer sozial-ökologischen Politik muss die Erkenntnis sein, dass gerade wirtschaftlich schwächere Menschen sich keine Klimaanpassungsmaßnahmen leisten können, weswegen wir in Kassel viel mehr Vegetation und Natur brauchen. Der Gegenentwurf zu asphaltierten und betonierten städtischem Raum ist der einzige Weg, die Lebensqualität innerhalb der Stadt zu massiv zu erhöhen. Zudem müssen freigewordene Flächen der Allgemeinheit, beispielsweise für sozialen Wohnungsbau, Naherholung oder Freizeiteinrichtungen, zugeführt werden.
Die derzeit ausgebremste Energiewende muss fortgeführt werden, kann aber nicht allein vom ländlichen Raum getragen werden, weswegen Energie auch in Kassel nachhaltig und ökologisch produziert, aber auch eingespart werden muss. Gerade der schleppende Ausbau von Solarenergie ist unverständlich. Neben der Energieproduktion sind Einsparungen durch einen massiven und bezahlbaren Umbau von Wohnraum notwendig, die jedoch nicht als Instrument für Entmietung herangezogen werden dürfen.
Industrie und Wirtschaft sind entsprechend ihrer Klimabilanz zu fördern oder in die Verantwortung zu nehmen. Eine nachhaltige Wirtschaftspolitik begünstigt die Entstehung neuer ökologischer Schlüsselindustrien und Arbeitsplätze. Denn der Begriff einer nachhaltigen-ökologischen Wirtschaft stellt keinen Widerspruch in sich dar.
Private Anpassungsmaßnahmen muss man sich leisten können. Trotzdem werden Klimaschutz- und Klimaanpassungen von allen anderen Parteien in Kassel entweder abgelehnt oder nur halbherzig für privilegierte Menschen betrieben. Deutlich wird dies anhand der inkonsequenten Verkehrspolitik, die Farbe auf der Fahrbahn mit Fahrradinfrastruktur gleichsetzt, oder der grundsätzliche Abwehrhaltung oder Abschwächung gegenüber progressiver Anträge. Sichtbar wird das auch an der uferlosen Flächenversiegelung, die zu massiver Überwärmung führt.
Unter diesen Vorzeichen ist ein konsequenter sozial-ökologischer Gegenentwurf zur derzeitigen Kasseler Politik unerlässlich.
Unsere Grundprinzipien für eine soziale und ökologische Politik
- Alle Maßnahmen dienen dem Leben und Überleben in Kassel, aber darüber hinaus sind sie auch ein Baustein eines globalen Klimaschutzes. Getreu dem Prinzip „Global denken, lokal handeln“.
- Alle Maßnahmen stehen im Lichte der sozialen und ökologischen Gerechtigkeit und fokussieren die Gleichberechtigung aller Menschen im öffentlichen Raum.
- Linke Klimapolitik ist grundsätzlich internationalistisch und feministisch, um vorhandenen gesellschaftlichen Ungleichheiten, die durch die Klimakatastrophe weiter verstärkt werden, entgegenzuwirken.
- Wer schädigt, zahlt. Elementarer Teil von linker Klimapolitik ist das Verursacherprinzip.
- Alle Maßnahmen dienen direkt oder indirekt dem Klimaschutz und/oder der Klimaanpassung. Hauptziel ist eine naturnahe und vegetationsreiche Stadt Kassel.
- Kurzfristig sind Unternehmen in Kassel zur Nachhaltigkeit zu verpflichten. Langfristig ist die Abkehr von der kapitalistischen, gewinnmaximierenden Produktionsweise aufgrund endlicher Ressourcen unerlässlich.
Dieser Artikel von Mark Bienkowski/Martin Kilimann ist in der 32. Ausgabe der Linkszeitung erschienen.