Kinderärztliche Versorgung – Rothenditmold bleibt abgehängt

15. Juni 2020  Gesundheit, Kommunales
Spielverbote verschärfen die Lage für Kinder

Den Stadtteil Rothenditmold trifft es hart. Seit Jahren sind Kita- und Betreuungsplätze Mangelware. Aktuell fehlen für das neue Kitajahr ab August mehr als 200 Plätze.

Nun steht der Stadtteil auch ohne kindermedizinische Versorgung da, nachdem die Kinderärztin Ortrud Lind-Weitzel ihre Praxis nach 33 Jahren im März schließen musste und keinen Nachfolger bzw. Nachfolgerin fand.

Der postindustrielle Stadtteil Rothenditmold kämpft mit einer ganzen Reihe von Problemen. Sämtliche Wirtschafts- und Sozialdaten sehen den Stadtteil am unteren Rand aller Kasseler Stadtteile. Gleichzeitig hat Rothenditmold mit 7,9 Prozent die höchste Quote mit Kindern unter sechs Jahren und die Anzahl der alleinerziehenden Haushalte ist mit 36 Prozent ebenfalls so hoch wie in keinem anderen Stadtteil.

Die Kasseler Linke hat schon im Januar 2019 auf die bevorstehende Schließung der Kinderarztpraxis in der Döllbachaue hingewiesen und forderte die Stadt Kassel zu einem proaktiven Vorgehen und entsprechender Hilfestellung auf. Auch der Ortsbeirat thematisierte das Problem mehrfach. Passiert ist nichts. Die Stadt verwies auf die Kassenärztliche Vereinigung und diese verwies wiederum auf eine durchschnittliche Überversorgung von Kinderarztpraxen in Kassel.

Tatsächlich besteht in Kassel mit seinen 21 Kinderarztpraxen eine Versorgungsquote von 125 Prozent. Allerdings sind die Orte und die Anzahl der Praxen sehr unterschiedlich verteilt. Allein im Stadtteil Vorderer Westen mit seinen 16.000 Einwohner*innen gibt es fünf Kinderarztpraxen. Im Stadtteil Nord-Holland mit insgesamt 16.450 Einwohner*innen und einer Quote von 6,6 Prozent mit U6 Kindern, gibt es gerade mal eine Kinderarztpraxis.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband weist seit Jahren darauf hin, dass in größeren Städten über 100.000 Einwohner die fachärztliche Versorgung sehr ungleich verteilt ist. So machen beispielsweise Zahnarztpraxen einen großen Bogen um ärmere Stadtteile. Auch in Rothenditmold gibt es keine zahnmedizinische Versorgung!

Dabei fördern die Zahlen der Schuleingangsuntersuchungen in Kassel erschreckende Tatsachen zutage. Bei der Zahngesundheit, der Motorik und einem allgemeinen Körpercheck liegen die Kinder unter sechs Jahren in Rothenditmold, im Wesertor und in Nord-Holland am Ende des Vergleichs. Der Zusammenhang von Armut und prekären Lebensverhältnissen auf der einen Seite und physischer sowie psychischer Gesundheit speziell bei Kindern kann nicht geleugnet werden. Die Kinderärztin Ortrud Lind-Weitzel sagte Ende März der HNA gegenüber: „Ich sehe seit Jahren so viel verschenktes Potenzial bei den Kindern in den Vorsorgeuntersuchungen.“

Die Suche der Eltern nach alternativer kinderärztlicher Versorgung gestaltet sich schwierig. Unsere im Stadtteil Rothenditmold lebende Stadtverordnete Violetta Bock forderte in einer Pressemitteilung folgerichtig: „Wir brauchen eine Kinderarztpraxis vor Ort, bei der nicht schon die Anreise eine Herausforderung ist:“

Aufgrund der schon beschriebenen Rahmenbedingungen in Rothenditmold braucht es ein ganzheitliches und progressives Vorgehen, damit sich die Dinge für die vielen Kinder positiv entwickeln.

Die Kasseler Linke hat aus diesem Grund einen Antrag gestellt, um die kinderärztliche Versorgung im Stadtteil zu sichern. Die Stadt Kassel soll dazu den freiwerdenden Kinderarztsitz übernehmen, um in Zusammenarbeit von Ärzt*innen und Sozialpädagog*innen unter Einbeziehung von Stadtteilangeboten einen Einstieg in ein Gesundheitszentrum schaffen. Dies könnte als Eigenbetrieb der Stadt aber auch unter der Trägerschaft der „Gesundheit Nordhessen“ (GNH) erfolgen. Gerade die GNH könnte in der jetzigen Situation einen positiven Beitrag leisten und ihr in Teilen ramponiertes Image nach der Schließung des Kreiskrankenhauses in Wolfhagen aufpolieren.

Auch die Grünen haben sich in der Sache zu Wort gemeldet und sehen die Stadt ebenfalls in der Pflicht. Vor dem Hintergrund, dass die Grünen das Dezernat für Jugend, Bildung, Frauen und Gesundheit in Kassel seit nunmehr 16 Jahren innehaben, erscheint diese Aussage allerdings als reichlich unverfroren und zynisch. Diese Lippenbekenntnisse können nur mit der im März nächsten Jahres stattfindenden Kommunalwahl in Verbindung gebracht werden.

Die Kasseler Linke wird genau darauf achten wer, wann, was, zur Kenntnis gibt und insofern einen Realitätscheck vornehmen!

Dieser Artikel vom Mirko Düsterdieck ist in der 32. Ausgabe der Linkszeitung erschienen.